SALZ. TON. GRANIT.
Über nukleare Vergangenheiten
und strahlende Zukünfte
Logo: SALT.CLAY.ROCK.
Künstlerische Forschung
und Ausstellung

Csilla Nagy und Rita Süveges

Installationsansicht SALT. CLAY. ROCK © Lucie Marsmann

Die Zeit überdauern

Videoinstallation und keramische Objekte, 2024

Csilla Nagy und Rita Süveges wurden im Rahmen von SALZ. TON. GRANIT. eingeladen, eine künstlerisch geführte Exkursion - einem artist-led field trip - zu entwickeln. Die Künstlerinnen wählten für das ortsspezifische Format das Dorf Boda, eine kleine Gemeinde, in der das ungarische Unternehmen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle (PURAM) wiederholt Probebohrungen durchführt. Anhand der Bohrungen soll festgestellt werden, ob die unter dem Dorf gelegene Tonsteinformation die Bedingungen erfüllt, die gegeben sein müssen, um hochradioaktive Abfälle zu lagern. Die Unsichtbarkeit dieser Eingriffe im Auftrag nuklearer Infrastruktur - die Bohrungen sind lediglich durch einen blauen Baucontainer am Rande Bodas zu erkennen - stellen Csilla Nagy und Rita Süveges jener ungreifbaren Zeitlichkeit gegenüber, die durch nukleare Halbwertszeiten, die Millionen von Jahren dauern, vorgegeben wird.

Mitte Juli, an einem der heißesten Tage des Sommer 2024, fand in Boda im „Infopark“ der PURAM eine performative und partizipatorische Diskussionsrunde statt. Danach folgte das gemeinschaftliches Brennen von Keramik in einer Brenngrube im Freien – eine altertümliche Technik des Tonbrennens. Dafür bereiteten die Künstlerinnen sechseckige Formen aus Ton vor, die von den in Kernkraftwerken verwendeten Brennstäben erinnern und durch das Forschungsfeld der “Atomsemiotik“ inspiriert sind, das sich u.a. mit der Frage befasst, wie wir mit künftigen Generationen menschlicher und nicht-menschlicher Lebewesen über den Standort und die Gefahren eines Atommülllagers kommunizieren können. Wie sehen die Warnungen aus? Welche Sprachen und Symbole werden hier genutzt? Könnte gebrannter Ton als Kommunikationsmittel geeignet sein? Denn letztlich sind Keramiken oft die einzigen dauerhaften Spuren von vergangenen Zivilisationen, anhand derer Archäolog_innen versuchen zu verstehen, wie Menschen einst gelebt und gearbeitet haben.

Die Künstlerinnen verstanden den Grubenbrand als Möglichkeit, die sonst unsichtbare Infrastruktur der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle und die Auseinandersetzung mit der „Tiefenzeit” sichtbar und durch diese Verwandlung von Materialien auch erfahrbar zu machen. Denn eine der größten Herausforderungen bei der Lagerung hochradioaktiven Mülls ist, dass dieser viel Hitze generiert und aufgrund seiner toxischen Radioaktivität in tiefen, minierten geologischen Lagerstätten verschlossen werden muss.

In der Ausstellung ordnen die Künstlerinnen nun die in Boda gebrannten sechseckigen Tonformen in einer Reihe an, die an Brennstäbe, die Hauptquelle für hochradioaktive Abfälle und an Bohrkerne erinnern, die aus den geologischen Untersuchungen, die für die Endlagersuche notwendig sind, entstehen. Dabei verdeutlicht die Zerbrechlichkeit des gebrannten Lehms die Risiken und Gefahren, die durch die Lagerung von Atommüll entstehen. Gleichzeitig interessieren sich Csilla Nagy und Rita Süveges dafür, wie eine Dorfgemeinschaft, die nur wenige Hundert Mitglieder zählt, mit der Verantwortung umgeht, Entscheidungen zu treffen, die sich langfristig auf zukünftige Generationen auswirken. Für diese Auseinandersetzung infiltrierten sie im Rahmen ihres artist-led field trips den Infopark der PURAM, der als “offizieller” Diskursraum für diese Auseinandersetzung verstanden werden kann, um dort auch kritische Stimmen zuzulassen.

Vor diesem Hintergrund organisierten sie eine offene Diskussionsrunde. Teilnehmerinnen waren der Bürgermeister von Boda, ein ehemaliger Uranbergarbeiter, ein für PURAM tätiger Hydrogeologe und eine Umweltaktivistin aus der nahe gelegenen Regionalhauptstadt Pécs. An der offenen und teils hitzigen Diskussion beteiligte sich auch das Publikum, u.a. die Bürgermeister aus den umliegenden Dörfern sowie Expertinnen aus den Bereichen Geologie und Ingenieurwesen, die sich mit der Frage der der Endlagerung radioaktiver Abfälle befassen. Offengelegt wurden Zusammenhänge zwischen dem Uranbergbau in der Region und den anhaltenden geologischen Untersuchungen, die bereits während der Zeit des Sozialismus begonnen und durch politische Veränderungsprozesse sowie neoliberale Denkweisen beeinflusst wurden. Ebenso deutlich waren die Perspektiven der Bürgermeister, die hoffen, durch die Entschädigungen für die Probebohrungen die Zukunft ihrer Gemeinden zu sichern. Zugrunde liegt das Narrativ, dass Boda und die umliegende Region ein “geopfertes” Gebiet des lokalen Bergbaus seien. Nicht berücksichtigt werden in dieser Erzählung die Folgen, die dieser Extraktivismus für die Menschen hat, denn die Geschichte der Bergleute ist geprägt von Krankheiten, Beeinträchtigungen und vorzeitigem Tod. In diesem Zuge wurde deutlich, dass es notwendig ist, transparenter über die potenziellen Risiken eines Endlagers zu informieren und zu kommunizieren.

Denn die regionale Geschichte des Bergbaus ist gleichzeitig eine Geschichte über Solidarität. Das greifen die Künstlerinnen in ihrer Videoarbeit auf, der die Dokumentation der ortsspezischen Intervention zugrunder liegt und die u.a. den Moment dokumentiert, in dem die an der Diskussion beteiligten Bergleute und Geologen ein Bergbaulied anstimmen, und einen ein bewegendes Beispiel schaffen für die interdisziplinäre Solidarität zwischen Berufen, die sich der Arbeit unter Tage widmen.

Installationsansicht SALT. CLAY. ROCK © Lucie Marsmann
Installationsansicht SALT. CLAY. ROCK © Lucie Marsmann

CSILLA NAGY Ein immer wiederkehrendes Element in Csilla Nagys Werk sind Formen des Gedenkens und Strategien, wie Individuen oder Gemeinschaften an Ereignisse erinnern, die für sie von Bedeutung sind. Das Thema der Erinnerung ist für Csilla Nagy eine Konstante, die sich zwischen dem Privaten und dem Globalen bewegt. Einerseits versucht sie, ihr enges Umfeld zu beobachten und zu reflektieren, andererseits ist sie auf der Suche nach einem größeren Kontext. In den letzten Jahren hat sich die Künstlerin für Keramik interessiert, die sie in ihre künstlerische Praxis integriert: Sie verwendet Ton in einer konzeptionellen und experimentellen Weise, probiert alte Techniken und neue Methoden aus.

Csilla Nagy wurde mit dem Derkovits-Stipendium, dem Visegrad-Stipendium und dem Kunststipendium der Ungarischen Akademie in Rom ausgezeichnet. Seit 2018 ist sie Assistenzprofessorin an der J. Selye Universität in Komárno (Slowakei) und lebt und arbeitet in Galanta (Slowakei).

https://www.csilla.xyz/

RITA SÜVEGES (Budapest) arbeitet als bildende Künstlerin. Ihre künstlerische Praxis ist theoretisch untermauert, und in groß angelegten Performances sie arbeitet eng mit Kommunen und ihren Menschen zusammen, um Wissen zu vermitteln, während sie für White Cube Installationen eine Vielfalt an Medien nutzt. Ihre Themen sind geprägt von der Umwelt- und Klimakrise und in ihren Arbeiten will Süveges dringende Probleme repolitisieren, um sie durch die Vorstellungskraft der Kunst in ein breiteres gesellschaftliches Verständnis zu überführen. Aktuell ist sie Doktorandin der Freien Künste an der Ungarischen Akademie der Schönen Künste und beleuchtet in ihrer bevorstehenden Dissertation Geoengineering und Technooptimismus aus feministischer Perspektive.

Für ihre Arbeiten wurde sie mit verschiedensten Preisen und Stipendien ausgezeichnet, unter anderem dem „TÓTalJOY“, dem „Smohay“, dem New National Exception Grant, dem Derkovits- und dem Visehrad-Stipendium. Sie war außerdem für den Strabag- und den Esterhazy-Kunstpreis nominiert.

Zu ihren Residencies zählen die Cité des Arts de Paris, ISCP New York, Meetfactory Prag, MQ/Q21 AIR Wien, Balatorium, Künstlerdorf Schöppingen und viele mehr. Nach mehreren Einzel- und Gruppenausstellungen in Ungarn stellte sie auch international u.a. im Museum Ludwig in Koblenz, auf der Off-Biennale Budapest und im Collegium Hungaricum Berlin aus. Und als Mitbegründerin der Künstlergruppe „xtro realm“ organisiert sie seit 2017 Lesekreise, Ausstellungen und Exkursionen, die unter Einbezug ökologischer Theorien den Anthropozentrismus des zeitgenössischen Denkens durchleuchten. Sie war Herausgeberin, Autorin und Gestalterin von „extrodæsia“- Encyclopedia Towards a Post-Anthropocentric World und des Climate Imaginary Reader. Darüber hinaus kuratierte Süveges die Gruppenausstellung von ACLIM! im Rahmen der OFF-Biennale Budapest 2021 ACLIM! Und war von 2018 bis 2021 Vorstandsmitglied der „Studio of Young Artists‘ Association“.

http://www.ritasuveges.com/

Csilla Nagy and Rita Süveges at their OVERCOMING TIME artist led field-trip in Boda Hungary