Research Site: RHEINSBERG & LAKE STECHLIN
13.10.25
Das Kernkraftwerk Rheinsberg war das erste Kernkraftwerk der DDR und gehörte international zur ersten Generation von Forschungs- und Versuchskraftwerken zur Stromerzeugung. Von 1966 bis 1990 in Betrieb, wurde das Kernkraftwerk nach der deutschen Wiedervereinigung abgeschaltet und ist nun wiederum das erste Kernkraftwerk der Welt, das gänzlich zurückgebaut wird. Der Rückbau gilt als Testlauf für zukünftige Rückbauprozesse, die aufgrund des deutschen Atomausstiegs in naher Zukunft anstehen werden, obwohl auch über den Erhalt der Reaktoren als Baudenkmäler immer wieder diskutiert wird und die Frage nach der Lagerung der hochradioaktiven Bauteile noch nicht gelöst ist.
Als einer der größten Betriebe in der Region, sowohl zu seinen Betriebszeiten mit 650 Mitarbeiterinnen als auch im Rahmen des Rückbaus mit noch über 100 Mitarbeiterinnen, hat das Kernkraftwerk Rheinsberg einen wichtigen Platz im Selbstverständnis der Region. Der Verein Stadtgeschichte Rheinsberg arbeitet schon länger an der Einrichtung eines Informationszentrums oder Museums zur lokalen Geschichte des Kernkraftwerkes. Neben dem Schloss Rheinsberg als Musterbeispiel des sogenannten Friderizianischen Rokokos steht heute auch das Verwaltungsgebäude des Kernkraftwerks als Paradebeispiel für DDR-Industriearchitektur unter Denkmalschutz.
Die heutige Betreibergesellschaft und hundertprozentige Tochter des Bundes, die EWN - Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH, ist neben dem Rückbau auch für die Entsorgung aller Teile des Werkes zuständig. Nach der Stilllegung des ehemaligen DDR-Endlagers Morsleben im Jahr 1997 werden die radioaktiven Abfälle seit September 1998 in das Zwischenlager Nord (ZLN) bei Lubmin gebracht. Auf dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks Greifswald lagern heute demontierte Maschinen, Bau- und Ausrüstungsteile sowie die „aktiven” Komponenten wie Kernbrennstoff, aber auch Teile des Reaktorkerns oder des Reaktordruckbehälters. Die EWN war auch verantwortlich für die Entsorgung der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, die in den ersten Betriebsjahren im anlageneigenen Endlager in Rheinsberg gelagert wurden und das Grundwasser vor Ort über viele Jahre belasteten.
Aus heutiger Sicht ist es fast unvorstellbar, aber das Kühlwasser des Kernkraftwerks Rheinsberg stammte aus dem Naturschutzgebiet Stechlin. Der hier gelegene gleichnamige Stechlinsee ist einer der bekanntesten Seen der Mecklenburgischen Seenplatte und wurde durch eine Beschreibung in Theodor Fontanes Roman „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ (1862) berühmt. Der See gilt als der schönste Klarwassersee Norddeutschlands und ist wegen seiner Sichttiefe von aktuell elf Metern bei Taucherinnen beliebt. Der See trübt sich jedoch immer mehr ein. Die Sichttiefe wird seit über 60 Jahren von den Forscherinnen des Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei des Leibniz-Instituts bestimmt. Mit seinem Seelabor liefert das Institut zeitlich hochaufgelöste Daten, um zu untersuchen, wie Gewässer auf veränderte Bedingungen wie Nährstoffbelastung, Klimaerwärmung oder Invasionen gebietsfremder Arten reagieren. Hervorzuheben ist, dass das Labor auch während des Betriebs des Kernkraftwerks kontinuierlich Daten erhob und somit zwar lückenhafte, aber dennoch umfangreiche Daten zum See existieren. Durch die Nutzung als Kühlwasser erwärmte sich der Stechlinsee während der Betriebszeit des Kernkraftwerks um mehrere Grad, was zu einer Veränderung der Flora und Fauna im See führte.
Dieser Aspekt war für die Umweltbewegung der DDR ein wichtiger Grund, sich auf die Auswirkungen der Kernenergie in der unmittelbaren Umgebung des Kernkraftwerks zu konzentrieren, während von Seiten der DDR-Regierung keinerlei Kritik an dieser Form der Energiegewinnung zugelassen und teilweise unterdrückt wurde. Wie in der BRD galt die Kernenergie auch in der DDR als Zukunftstechnologie, mit der man den wachsenden Energiebedarf decken und vor allem eine Alternative zur Braunkohle finden wollte. Nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986 wurde der Kampf gegen Atomkraft zu einem zentralen Anliegen der DDR-Umweltbewegung, da über die Katastrophe von Tschernobyl in den Ostmedien lange nicht berichtet wurde und dies dazu führte, dass viele DDR-Bürger_innen nicht über Gefahren – wie etwa sauren Regen - informiert wurden und sich demnach auch nicht schützen konnten. Um dem eklatanten Informations- und Kommunikationsdefizit entgegenzuwirken und das staatliche Informationsmonopol zu unterwandern, wurde 1986 die Berliner Umwelt-Bibliothek (UB) gegründet, die zusammen mit dem Grün-ökologischen Netzwerk Arche zu Zentren oppositioneller Umweltarbeit wurde.