Research Site: GORLEBEN
13.10.25
Nahe der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze liegt Gorleben, eine kleine westdeutsche Gemeinde im niedersächsischen Wendland. Ihr Name steht synonym für den Umgang mit Atommüll und die Anti-Atomkraft-Proteste in West-Deutschland. Denn als 1960 mit der Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Kahl die kommerzielle Nutzung der Atomenergie begann, ergab sich auch die Frage nach dem Umgang mit ihren Hinterlassenschaften. In den 1970-Jahren erklärte das Bundesland Niedersachsen die generelle Bereitschaft, nukleare Entsorgungszentren zu errichten. 1977 wurde überraschend Gorleben als Standort ausgewählt, woraufhin sich eine Protestbewegung - bestehend aus Aktivistinnen, Landwirtinnen und politisch Engagierten - formierte, die noch immer ihresgleichen sucht und deren Erfolg die Geschichte von Protest und politischem Widerstand in Deutschland bis heute prägt. Dennoch: Obwohl der damalige Ministerpräsident Niedersachsens Ernst Albrecht (CDU) 1979 erklärte, dass die Pläne, eine Wiederaufbereitungsanlage zu errichten, verworfen werden sollen, wurde der Salzstock in Gorleben weiterhin auf seine Eignung als potentielles Endlager untersucht. Nach jahrzehntelangem Streit um Gorleben als Standort für ein atomares Endlager wird die dortige Wiederaufbereitungsanlage für hochradioaktive Abfälle aktuell zurückgebaut. Denn wissenschaftliche Untersuchungen des Salzstocks endeten 2020 mit dem Ergebnis, dass Gorleben als Endlager nicht geeignet sei. Ab 2024 sollen 400.000 Tonnen Salz in die Schächte gebracht werden, um diese zu verfüllen.
Jedoch ist das Thema Atommülllagerung im Wendland damit nicht abgeschlossen: Im ganz in der Nähe gelegenen Zwischenlager Gorleben stehen aktuell noch 113 CASTOR-Behälter, in denen hochradioaktives Material eingelagert ist. CASTOR ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung „Cask for Storage and Transport of Radioactive Material” [Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials]. Die Proteste gegen die CASTOR-Transporte in das Zwischenlager Gorleben prägten seit 1995 regelmäßig die Bilder in den deutschen Nachrichten. Und solange es kein Atommüllendlager gibt, wird das radioaktive Material in Gorleben weiterhin in einer oberirdischen Halle gelagert. Die Suche nach einem Endlager wird noch viele Jahrzehnte andauern. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) geht davon aus, dass erst zum Jahr 2046 ein Endlager gefunden werden kann. Andere Quellen gehen erst von 2076 aus. Der Atommüll wird also deutlich länger im Gorlebener Zwischenlager bleiben, obwohl die Genehmigung für dessen Betrieb bereits 2034 ausläuft.
Es gibt die Erzählung, dass die Entscheidung für den Standort Gorleben als Endlager der Bundesrepublik Deutschland für radioaktive Abfälle eine politische war. Da das DDR-Endlager Morsleben direkt an der Grenze zu Niedersachsen lag, wird vermutet, dass sich Ministerpräsident Ernst Albrecht mit der Entscheidung für einen ebenso grenznahen Standort revanchieren wollte.
Die Anti-Atomkraft-Bewegung im Wendland ist bis heute aktiv: Das 2001 gegründete Gorleben Archiv e.V. sammelt und archiviert beispielsweise wertvolles Material über die Geschichte des Atomstandortes Gorleben. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg ist weiter aktiv und wichtige Ansprechpartnerin, wenn es um Fragen von Endlagerung und Widerstand geht. Bis heute finden an jedem Sonntag in der Nähe des Zwischenlagers die Gorleben-Gebete statt, zu denen sich Menschen unter dem Motto: „Bleibet hier – wachet und betet.” im Wald von Gorleben zu einer etwa halbstündigen Andacht versammeln.